Eine Tour, zwei Berichte!
Mutter und Tochter bloggen über Ihre Wandererlebnisse!Wanderjenosse Sandra
Auf der Karte sieht die Gegend um Wendisch Rietz sehr idyllisch aus. Es sind keine Straßen eingezeichnet – sehr schön! Kleiner Glubigsee, Großer Glubigsee, Springsee – hört sich alles sehr verlockend an. Am Kleinen Glubigsee finden wir prompt den Eingang zum Wald zwischen den Grundstücken, die den Zugang zum See versperren. Mein Pfadfinderstolz ist leider nur von kurzer Dauer, denn nach ein paar hundert Metern komme ich schon ins Grübeln.
Wandern auf eigene Gefahr
Wir sind richtig. Blauer Punkt auf weißem Grund. Doch gleich neben der vollmundigen Begrüßung gilt: Betreten auf eigene Gefahr. Muss ich mir Sorgen machen? Ich entscheide mich fürs Ignorieren und wir laufen weiter. Ein Stück weiter steht das nächste Schild: Betreten auf eigene Gefahr. Diesmal ohne den gefahrunterstreichenden roten Rand. Jetzt wird es aber albern, oder? Welche Gefahr sollte hier schon drohen?
Landschaftlich ist der Weg wenig aufregend. Er führt am Ufer des Grossen Glubigsees entlang, das dicht mit Häusern bebaut ist. Dennoch ist er auf andere Weise interessant, gewährt er uns doch einen beeindruckenden Einblick in die Brandenburger Stegkultur.
Dann endet endlich die Zivilisation kurzzeitig und der Wald beginnt. Am Springsee hat sie uns jedoch schon wieder eingeholt, diesmal in Form eines Zeltplatzes, der sich am gesamten östlichen Ufer entlangzieht. Boah, ist das furchtbar zersiedelt. Ich bin froh, dass jetzt im November die Campingzeit vorbei ist und uns niemand begegnet.
An der Südspitze des Sees endet auch der Zeltplatz und wir wollen den Rückweg antreten. Auf keinen Fall wollen wir denselben Weg zurückgehen und so entscheiden wir uns auf der anderen Seite des Sees zurückzuwandern. Dort sind jedoch weder in Google noch in der Wanderkarte Wege eingezeichnet und wir lassen uns überraschen ob unser Vorhaben gelingen wird.
Am Springsee wird es interessant
Wir verlassen also am Ende des Sees den Wanderweg (blauer Punkt auf weißem Grund) und nutzen einen schmalen Weg direkt am See entlang. Doch dann ist plötzlich Schluss. Der Weg endet und ein Zaun versperrt das Weiterkommen. Auf der anderen Seite des Zauns verläuft ein breiter Fahrweg und dort steht ein Schild, dessen Beschriftung ich auf die Entfernung nicht lesen kann. Der Zaun reicht nicht direkt bis an den Springsee, man kann also drum herumlaufen. Dann mache ich das mal, weil ich neugierig bin, was auf dem Schild steht.
Militärischer Sicherheitsbereich, steht da. Jetzt wird mir mulmig. Von Schiessbetrieb und Blindgängern ist die Rede und von Lebensgefahr. Der Standortälteste droht sogar strafrechtliche Konsequenzen an. Der Silberrücken denkt, ich will ihn veräppeln und schwingt sich um den Zaun herum, um das mit eigenen Augen zu sehen. Wanderjenosse Lea hingegen bewegt sich keinen Zentimeter mehr und wird eins mit der herbstlichen Umgebung.
Ich schaue mich weiter um, und stelle fest, dass neben dem Fahrweg alle 50m ein solches Schild steht. Nun ja, es wird uns wohl niemand so schnell erschießen. Die Warnung bezieht sich hoffentlich auf den Wald hinter den Schildern. Und außerdem ist Sonntag. Also laufen wir weiter, immer den Weg entlang der zufällig in die Richtung führt, in die wir wollen. Lea hat offensichtlich ein bisschen Schiss und guckt sich regelmäßig um, ob wir verfolgt werden.
Hinter der nächsten Kurve, dann wieder Schilder. Jetzt auch gleich drei auf einem Haufen. Halt! Scharfschießen! Lebensgefahr!, steht es auf beiden Seiten des Weges. Und das uns schon bekannte Schild des Standortältesten ist auch wieder da. Zu allem Übel versperrt ein Schlagbaum den Weg. Auweia, und jetzt? Die rot-weisse Schranke lässt sich leider auch mit abgenommener Brille nicht ignorieren.
Operation Hasenpanier
Ich erinnere mich, dass wir kurz nach dem Losfahren im Auto festgestellt haben, dass Niemand von uns einen Ausweis dabei hat. Wir hatten noch überlegt, umzukehren, haben es dann aber gelassen. Es wolle uns partout keine Situation einfallen, für die wir in der Brandenburgischen Wildnis einen Ausweis gebrauchen müssten.
Jetzt schon!
Rückzug kommt dennoch nicht in Frage! Vor dem Schlagbaum führt ein schmaler Pfad rechts durch das Unterholz bis zum naheliegenden Ufer des Sees. Den nehmen wir. Er verläuft immer direkt am Ufer entlang und ich hoffe, dass er nicht irgendwann in einer Sackgassee endet. Die sichere Konstante sind die respekteinflößenden Schilder alle 50m. Ich erwarte jeden Moment, dass jemand mit vorgehaltener Waffe aus dem Gebüsch springt, aber alles bleibt ruhig. Wenn mir nicht so mulmig wäre, könnte ich mich an der schönen Aussicht und dem Weg erfreuen. Der ist im Gegensatz zum gegenüberliegenden Ufer herrlich verlassen und naturbelassen. Nach einer ziemlichen Weile führt der Pfad vom Ufer weg und wir landen an einem zweiten Schlagbaum mit schon bekannter Beschilderung; Scharfschießen, Lebensgefahr und so. Hier hängt jedoch noch ein weiteres Schild: Dieser Bereich wird videoüberwacht. Jetzt bin ich mir ganz sicher, dass sie uns gleich einfangen und wegsperren, ob mit oder ohne Ausweis. Schließlich haben wir die ganze Zeit völlig ungeniert fotografiert und eine Instagram-Story hochgeladen. Vielleicht gibt es noch ein kostenloses Beweisfoto für diesen Bericht. Zum Glück beginnt direkt hinter der Schranke die freie Welt, denn wir finden wieder eine Wanderwegkennzeichnung (gelber Punkt auf weißem Grund), der wir aber so was von zügig folgen…
Überlebt
Eine weitere Stunde führt uns der Weg auf einer Forststraße entlang, die sich durch den Wald windet. Hier und da kreuzt eine Panzerschneise unseren Weg. Ja, ein Foto mit Panzer wäre super für diesen Bericht! Aber, wie schon gesagt, es ist Sonntag; also leider kein Panzerbild. Mein Puls hat sich wieder beruhigt und ich habe Spaß an der Skurrilität dieses Waldes mit Schildern oder dieses Schilderwaldes oder wie auch immer. Jetzt trauen wir uns nach etlichen Stunden auch eine Pause zu machen und entdecken den einladensten Wanderrastplatz, den ich je gesehen habe. Hier ist er, mein Lieblingsplatz:
Wanderjenosse Lea
Wendisch Rietz war mir von Anfang an unsympathisch. Das ist ein Fakt, der sich jedoch im Laufe unserer Wanderung ändern sollte. Der Anfang unserer Tour ist schnell gefunden und zuerst sieht der Weg auch ziemlich unspektakulär aus. Ich stelle mich innerlich schon auf eine angenehm, entspannende Strecke ein. Weit gefehlt, denn hinter der nächsten Kurve geht das Abenteuer direkt los. Achtung Betreten auf eigene Gefahr. Viele dieser Schilder zieren den Wald vor uns. Wir nehmen sie nicht sonderlich ernst, schließlich gibt es hier nichts, dass gefährlich sein könnte. Nur ein Holzbohlensteg erstreckt führt über ein sumpfiges Gebiet. Total gewöhnlich. Der Silberrücken geht voran, rutscht aus und schlägt fast hin. Vielleicht war das Schild doch nicht so unbedeutend? Vorsichtiger tasten wir uns voran und überqueren den Steg.
Sympathie wird überbewertet
Als nächstes muss ich feststellen, dass mir die Elektriker hier auch nicht so sympathisch sind. Der Grund dafür: Eine Stromleitung hängt auf halb sieben direkt über dem Weg. Die normalen Anwohner scheinen etwas netter zu sein, es werden gerade die letzten Schäden vom Sturm beseitigt. Endlich haben wir nun auch einen der zwei Seen erreicht, die wir heute umrunden wollen. Links erstreckt sich irgendeine Klinik; nicht sonderlich spannend, rechts der Glubigsee, der schon deutlich attraktiver ist. Lauter kleine Stege zieren den See und unterstreichen eindrucksvoll die German Gemütlichkeit. Die langweilige Landschaft wird dadurch wieder wettgemacht. Wir amüsieren uns prächtig.
Der Springsee als Lehrstandort der Kultur
Irgendwann geht es dann doch weg vom See in einen Kiefernwald. Im Gegensatz zu vielen anderen Kiefernwäldern in Brandenburg, besteht dieser aus wirklich alten Kiefern, die nicht im Monokulturstil angepflanzt wurden. Nun kommt der zweite See unserer heutigen Tour in Sicht, der Springsee. Aus dem schlauen Büchlein von Wanderjenosse Sandra lernen wir, dass „Spring“ aus dem Altdeutschem kommt und Quelle heißt. Tatsächlich kommt auch bald schon eine in Sicht. Dafür laufen wir jetzt immer an solch einem schnöden Campingplatz entlang, der seine besten Tage auch schon hinter sich hat. Das Einzige was gleichbleibend ist, sind die Stege und so sehen wir über die architektonische Vergewaltigung der Natur hinweg und sind sehr angetan von der Brandenburgischen Stegkultur.
Kultur ohne Ende
Nach einer kleinen Pause geht es weiter. Also, es soll weiter gehen, theoretisch. Aber nach ein paar hundert Metern ist Schluss. Ein mächtiger Zaun versperrt den Weg. Dahinter ein Schild, auf dem uns der Standortälteste wenig nett darauf hinweist, dass hier militärisches Sperrgebiet sei und unbefugtes Betreten zur Anzeige gebracht wird. Da der Standortälteste keine Zeit hatte sich mit dem niederen Wandervolk abzugeben, pflegt seine durchlauchten Persönlichkeit eine großartige Schilderkultur. Natürlich haben wir dafür Verständnis, aber Schilder ersetzen nun mal nicht den Standortältesten und haben demnach nicht ein solch hohes Maß an Vollstreckungsvermögen. Daher entschließen wir uns, unser Recht zu nutzen und zumindest am Rande des Sperrgebietes entlang zu wandern.
Die gute, deutsche Ordnung
Vorbildlich ist alle 50 m ein Schild angebracht, dass uns auf unsere Rechte, Pflichten und Verbote als Normalsterbliche hinweist. Damit dem gehorsamen Bürgern auch nicht langweilig wird, wechselt der Wortinhalt regelmäßig und weist auch vereinzelt Abweichungen auf. Wir haben uns noch nicht sonderlich weit durch den Schilderdschungel voran gearbeitet, da erreichen wir ein besonderes Prachtexemplar der Gattung Brandenburgische Schilder. Halt! Scharfschießen! Lebensgefahr!
Die deutsche Grammatik hat ihre Hochzeit auch schon hinter sich, trotzdem entscheiden wir uns, diesen Weg zu meiden und weichen auf einen anderen Weg aus, der uns wieder am See entlang führt. Ich muss zugeben, ich habe ein bisschen Schiss, aber wer hätte das nicht?
Big brother is watching you
Stege gibt es hier keine mehr, dafür genügend unberührte Landschaft. Unberührt ist wohl ein bisschen untertrieben, denn auch hier weist uns der Standortälteste alle 50 m auf unsere Unterlegenheit hin. Auch diese zwielichtige Gestalt war mir von Anfang an unsympathisch. Witze werden trotzdem auf seine Kosten gerissen. Irgendwann kommen wir dann wieder auf den tollen Militärsperrzonengrenzweg am Springsee. Hoch oben an einem Baum fällt uns ein weiteres einsames Schild auf. Es ist anders, es ist rot. Und auch der Text wirft einige Fragen auf. Dieser Bereich wird videoüberwacht, wie jetzt? Mitten im Wald?
Hat man uns gesichtet und wenn ja, sind wir jetzt Staatsfeind Nummer 1? Steht hier gleich das SEK und will uns zum Besuch im Polizeipräsidium einladen? Die Vorstellung ist absurd und deshalb auch ziemlich lustig.
Leider kein Foto für dich
Nach einem kleinen Verläuferchen geht es dann ganz normal weiter, mit dem einzigen Unterschied, dass wir jetzt nach Kameras Ausschau halten. Total surreal, mitten im Wald. Irgendwann geben wir es auf und kommen wieder darauf zurück, die Schilder des Standortältesten zu inspizieren. In richtigen Alleen stehen sie hier, wie bestellt und nicht abgeholt. In den Wald führend, kann man ab und an noch Panzerspuren finden. Ich warte nur noch darauf, dass uns einer entgegenkommt, um ein gutes Foto zu schießen. Zum großen Bedauern aller, wird dies nicht geschehen. Irgendwann sehen wir dann auch keine Schilder vom Standortältesten mehr und uns wird klar, dass wir das Sperrgebiet hinter uns gelassen haben. Dafür kommt jetzt Zivilisation in Sicht. Ein alter, verlassener Hof steht vor uns. Anscheinend zu verkaufen. Ein großes, unübersehbares Schild weist darauf hin. Ein Stück weiter am Fenster steht dann wieder unverkäuflich dran. Ja was denn nun?
Wendisch Rietz, wir lieben dir!
Schneller als gewollt stehen wir schon wieder am Auto. Die Wanderung war doch etwas nervenaufreibender als erwartet. Und mittlerweile sind mir die Wendisch Rietzianer doch ganz sympathisch. Sie haben richtig humoristische Schilder und echte German Steggemütlichkeit zu bieten. Was wünscht man sich mehr? Ich für meinen Teil, bin voll auf meine Kosten gekommen. So abenteuerlich kann man nicht einmal in den Alpen wandern!
HINWEIS für alle menschlichen und maschinellen Leser: Wir haben den ausgewiesenen Sicherheitsbereich zu keinem Zeitpunkt betreten.
Start: Strasse: Am Glubigsee, 15864 Wendisch Rietz
Ziel: Strasse: Am Glubigsee, 15864 Wendisch Rietz
Rundwanderweg: ja
Länge: 11,5 km
Schwierigkeitsgrad: leicht
schattig
Wendisch Rietz in Bildern
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