Endlich ist es offiziell!
Ich bin nun diplomierter Wanderjenosse. Mein vollmundig vorgebrachtes Statement, das es keine Berge in Brandenburg gibt, muss ich nach dieser Tour revidieren. Schuld ist dieses Mal der Stefan von Wanderbares Brandenburg, der mich auf den Turmwanderweg von Falkenberg nach Bad Freienwalde aufmerksam gemacht hat. Und da er bereits doppelter Dipl.-Wanderer ist, konnte ich mir keinen besseren Tutor vorstellen.
Allen Nachwanderern sei anempfohlen: Diese Achterbahnstrecke ist nichts für die verpimperte Turnschuhfraktion! Fast fünfhundert Höhenmeter, vier Türme, 425 Turmstufen – um nur die Fakten zu nennen. Die Anstiege sind knackig von Anfang bis Ende und nur mit ein bisschen Kondition zu machen.
Wir starten an der Roten Mühle in Falkenberg/Mark und folgen dem Theodor-Fontane-Weg bis zur ersten Markierung für den Turmwanderweg, der wir nun die nächsten Stunden folgen. Hier zeigt sich Brandenburg von seiner bergigen Seite. Es geht steil bergauf bis auf den bewaldeten Kamm. Ich komme gleich zu Beginn ordentlich ins Schwitzen und kann mich mit Stefan vorerst gar nicht richtig bekannt machen, da für eine längere Unterhaltung die Puste nicht reicht. Dafür gibt es herrliche Ausblicke zu bestaunen. Von diesem Höhenzug aus können wir bei dem herrlichen Herbstwetter weit über das Oderbruch bis nach Polen schauen.
Erster Turm
Rapunzel, Rapunzel lass dein Haar herunter
Nach gut einer Stunde öffnet sich der Wald und vor mir steht der schönste Rapunzelturm, den ich je gesehen habe. Ein kleine Anbau auf halber Höhe und ein kleines Erkerchen auf der gegenüberliegenden Seite geben dem Turm ein mittelterliches Aussehen. Das ist auch Absicht der Bauherren anno 1895. Hatte man doch erst zwei Jahre zuvor die Fundamente der mittelalterlichen Burg Malchow just an dieser Stelle freigelegt und untersucht. Auf dem Grundriss des vermutlichen Burgturmes errichtete man den neuen Turm und machte daraus, dem Zeitgeist entsprechen, einen Bismarckturm. Einige Mauerreste der ehemaligen Toranlage sind am Fuß des Turmes noch zu bestaunen.
Wir kaufen bei dem freundlichen Turmwächter gleich Besteiger-Tickets für alle vier Türme und lassen unsere Turm-Sammelkarte das erste Mal abstempeln. Auf der hölzernen Wendeltreppe bleibe ich mit meinem Rucksack fast stecken, so eng ist es. Die Mühe der Bezwingung der einhundert Stufen wird belohnt. Was für ein grandioser Ausblick! Weit schweift der Blick über die Oderniederung bis zum Schiffshebewerk Niederfinow. Hach, stehen und schauen!
Meine Watzmann-Erstbesteigung
Nun jagt ein Superlativ den Nächsten. Nicht weit hinter dem Bismarckturm steht linker Hand, direkt am Weg ein Gipfelkreuz. Wir haben den Watzmann bezwungen! Ganz ohne Seil und Kletterausrüstung! Der Märkische Watzmann ist sage und schreibe 1062 Dezimeter hoch, also seinem Bertechgadener Namensvetter fast ebenbürtig. Für Lokalpatrioten ist noch nicht abschließend geklärt, ob bayerische Landsknechte den Namen im Mittelalter mitbrachten oder von hier ins Bertechgadener Ausland entführten. Wie dem auch sei, wir müssen weiter auf dem Turmwanderweg, durch die Mariannenschlucht wieder absteigen um danach gleich wieder zum Teufelssee aufzusteigen.
Der Teufel trägt Zähne
Bei der Namensgebung des Sees muss irgendetwas schiefgelaufen sein, denn er liegt im Tal so beschaulich eingebettet, dass der Name Teufelssee so gar nicht passen will. Wenn nicht noch drei Türmen zu besteigen wären, könnte ich auf der sonnigen Wiese direkt am spiegelglatten See den Rest des Tages verbringen. Bei genauerem Hinsehen entdecke ich allerdings doch noch diabolische Anzeichen. Abgenagte und gefällte Bäume zeugen vom teuflischen Treiben des Bibers. Er bemüht sich nicht einmal um Heimlichkeit. Trutzig und wehrhaft hat er seine Burg direkt neben den See gebaut und sich tagsüber darin verschanzt.
Zweiter Turm
Dem Naturschutz auf der Spur
Wir lassen den Teufelssee hinter uns und gelangen auf einem schmalen Wegkorridor, vorbei an Wochenendgrundstücken mit liebevoll gestalteten Gärten sozusagen durch die Hintertür nach Bad Freienwalde. Stefan biegt zielsicher vom Turmwanderweg in einen der Gärten ein und ich frage mich, was er hier will. Schmale Pfade schlängeln sich durch den Garten, vorbei an blühenden Beeten, berankten Lauben und verschiedenen Gehölzen. Es geht ein wenig bergauf und so entdecke ich das rotbefensterte Blockhaus erst, als wie direkt davor stehen.
Es scheint ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein und in der Tat wurde es nach dem zweiten Weltkrieg viele Jahre von Kurt Kretschmann und seiner Frau Erna bewohnt, die diesen versteckten Ort zu einem Zentrum des ostdeutschen Naturschutzes entwickelten und bereits ab 1960 der Öffentlichkeit zugänglich machten. Heute steht es inmitten des großen, wunderbaren Schau- und Lehrgartens und wartet nicht nur auf angehende Turmdiplomanden. Wir lassen unsere Turm-Sammelkarte wieder abstempeln, denn hinter dem Blockhaus gilt es den Eulenturm zu besteigen. Der Name soll daran erinnern, dass von hier aus die Naturschutz-Eule als Symbol für Natur- und Umweltschutz ihren Siegeszug begann. Der Eulenturm ist ein offener Holzbalkenturm, also genau das Richtige für mich und meinen Höhenkoller. Ich kralle mich auf beiden Seiten der wirklich sehr steilen Treppe ins Holz und klettere mutig nach oben. Die eigentliche Herausforderung besteht allerdings darin, die Treppe mitsamt Rucksack wieder hinunter zu kommen ohne sich mit den vielen Schlaufen und Gurten unterwegs aufzuhängen.
Dritter Turm
Sprung Frei!
Stefan führt uns weiter durch Bad Freienwalde zum nächsten Turm-Ereignis. Zum Glück haben wir ihn dabei, denn der Weg ist nicht immer vorbildlich ausgeschildert. Ohne ihn hätten wir sicherlich die eine oder andere Abzweigung verpasst. So jedoch stehen wir bald vor dem Schanzenturm. Ja, richtig gelesen: SCHANZENTURM und ja, in Brandenburg. Hier besteigen wir nicht nur eine 38m hohe Sprungschanze sondern besichtige nebenbei das nördlichste Skisprungzentrum Deutschlands.
Leider ist heute kein Trainingstag.
Es gibt keine Springer zu gucken und so erklimmen wir erst den Berg auf dem die Schanze steht und nach dem uns bereits bekannten Abstempeln die 161 Stufen bis zum Absprungbereich. Der Blick von hier oben ist schon sehr besonders. Einerseits die Weitsicht ins Umland und andererseits der Blick in die Tiefe zum Schanzentisch und den Auslaufbereich. Hier oben haben wir den höchsten Turm des Tages erreicht und sind nun auch entsprechend platt. Wir machen auf den steilen Stufen erst mal Pause und lassen uns den schon recht frischen Septemberwind um die Ohren pusten. Meine Mitwanderer machen einen mitgenommenen Eindruck und ich fürchte ich sehe nicht besser aus. Außerdem mache ich mir ein bisschen Sorgen um die Kondition des Nesthäkchens. Es sind mit Sicherheit noch eineinhalb Stunden zu laufen und ich überlege, wie das mit einem Huckepack-Kind über die Berge gehen soll. Prophylaktisch stopfe ich also erst mal Energie in Form von Apfel, Banane und Schokowaffeln in das Kind und überlege mir, welche Rätselspiele wir noch nicht gespielt haben, um vom Laufen abzulenken.
Zum Glück geht es erstmal nur bergab bis zur Kurfürstenquelle, die als willkommener Pausengrund dient. Schon seit 1684, seitdem der große Kurfürst angelockt durch deren guten Ruf ihr einen Besuch abstattete, heißt sie so. Wir füllen unsere Wasserflaschen mit dem herrlichen kühlen Wasser, denn was gegen allerlei Körperleiden hilft, kann gegen Durst nicht schaden. Das angrenzende Kneippbecken nutzen wir gleich, um unsere müden Füße zu erfrischen, bevor es (wieder einmal) den Turmwanderweg bergauf geht. Diesmal über eine Treppe mit gefühlten tausend Stufen bis zur Kapelle. An dem Punkt brennen mir dermaßen die Waden, dass ich fürchte nicht mehr persönlich von dieser Tour berichten zu können. Aber ich habe ja einen Ruf zu verlieren, also ist ein Fehlschlag nicht akzeptabel.
Vierter Turm
Schau ins Land
Von dort schlängelt sich der Weg weiter durch die Berge bis der von uns herbeigesehnte Aussichtsturm vor uns auftaucht. Hier auf dem ehemaligen Galgenberg der Stadt errichtete man 1879 einen Turm, der einerseits dem patriotischen Zeitgeist Rechnung trug indem er als Gefallenendenkmal der Kriege 1864, 1866 und 1870/71 diente und gleichzeitig als Rundschauturm für Ausflügler und Kurgäste fungierte.
Wir schleppen uns die letzten Turmstufen nach oben und es fühlt sich an, als wäre es ein Achttausender gewesen. Von hier hat man auch heute noch einen grandiosen Blick über das idyllisch im Tal drapierte Bad Freienwalde, die umliegenden Wälder und Hügel und das sich im Osten anschließende Oderbruch.
Vom Turmwanderweg zum Turmdiplom
Unsere Turm-Sammelkarte hat nun vier Stempel und dient ab jetzt als Beweiskarte für den absolvierten Höllenritt. Wir machen uns stolz und fussmüde auf den Weg hinunter nach Bad Freienwalde. In der Touristeninformation am Marktplatz wollen wir unsere Beweiskarte gegen ein Turmdiplom eintauschen. Es ist kurz nach drei, als wir im Stadtzentrum ankommen. Die Tür ist zu, Licht ist aus. Freundlicher Service findet sonntags nur zwischen 10.00 Uhr und 15.00 Uhr statt. Mist! Dann müssen wir eben die Deutsche Post bemühen und Abwarten und Tee trinken. Und das machen wir jetzt erstmal mit einem ordentlichen Stück Kuchen dazu.
TIPP
Gut Einkehren ist im Oderbruchware in Bad Freienwalde, Königstrasse 7. Der Laden ist ein Kleinod regionaler Produktangebote mit angeschlossenem Café. Setzt euch unbedingt in den Innenhof und probiert die süssen und herzhaften Leckereien!Start: Rote Mühle, Parkplatz am Fontaneweg, 16259 Falkenberg/Mark
Ziel: Marktplatz, 16259 Bad Freienwalde
Rundwanderweg: nein
Länge: ca. 15 km
Schwierigkeitsgrad: schwer
schattig
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2 Comments on “Der Turmwanderweg – doch ein Gebirge in Brandenburg”
Schöner Wanderweg! Den muss ich auch mal nachwandern. Bin immer wieder überrascht, wie abwechslungsreich Brandenburg doch sein kann… Danke für den Tipp!
VG, Sven.
Hallo Sven,
das finde ich auch. Von Berge über Wälde, Feuchtgebiete bis zur kleinen Wüste ist alles dabei! Und Tiere gibst als Goodie meist noch oben drauf.
Viele Grüsse
Sandra